Begegnungen fallen vom Himmel, wenn ich offen dafür bin. Auch ohne gleich zu verstehen, warum jetzt, warum heute, warum an diesem Ort.
E I N S
Ein Fest auf der Praterinsel. Sommer. Feuchtheisse Luft.
Es ist laut, zu laut, der DJ tut sein Bestes, dafür wurde er engagiert. Die Menschen in Feierlaune, gesprächig, sie schreien sich an, um sich zu hören, lachen, trinken. Die Location ist originell, die Bänke noch nass vom letzten Regenguss.
Ich schau mich um, meine Flasche Wasser in der Hand, ich sehe Gesichter, die mir nicht bekannt sind. Als das Wasser ausgetrunken ist beschließe ich, zu gehen.
Am Fahrrad angekommen drehe ich eine Runde am Kanal, genieße den Wind, und etwas lässt mich wieder umkehren. Ich gehe also noch Mal durch das Tor in den Hof. Vor der Sponsorenwand werden Selfies geknipst. Ich lasse mich treiben. Alles wie vorher, nur voller ist es.
Hallo, Krista!!
Ich erkenne die Frau nicht gleich, die mich laut anspricht und anstrahlt.
Wir freuen uns übers Wiedersehen nach vielen Jahren. Plaudern über Zeiten vor und hinter der Kamera. Der Producer einer Serie von damals taucht auf. Küsschen. Lachen.
"Machst Du noch feinstoffliche Arbeit?" fragt sie plötzlich, nah an meinem Ohr.
"Ja", sag ich, "wenn mich jemand braucht."
Sie schweigt. "Brauchst Du Hilfe?" frage ich nach.
"Ich bin schwer traumatisiert", kommt es aus ihr raus.
Es ist gleichgültig, woher wir uns genau kennen. Nicht gleichgültig ist, was sie mir dann erzählt, mitten in dem Lärm und unter den Flackerlichtern.
Die Hauptworte, die mir ins Ohr dröhnen, sind:
Häusliche Gewalt,
Traumatisierung,
Vergiftung,
Jahrelange Odyssee bei Ärzten,
Prozess.
Erst als einer der Ärzte beim wiederholten Besuch auf die Idee kam, einen Drogen-Test zu machen, was sie gar nicht verstehen konnte, wurde es aufgedeckt :
Sie ist vergiftet worden. Daher all die Symptome und die Ratlosigkeit so vieler Ärzte.
Und sie erzählt....
.... dass sie jahrelang, Nacht für Nacht, ohne ihr Wissen, von ihrem Partner mit KO-Tropfen und später noch zusätzlich mit Oxazepam wehrlos gemacht und vergewaltigt worden ist. Er hat das in unzähligen Videos festgehalten, die sie sich während der Prozessjahre anschauen musste.
Der Mann sitzt nun seit ein paar Tagen im Gefängnis. 5 Jahre und 11 Monate hat er bekommen ...
Partnerschaftsgewalt
.... geschieht - so weiß man - unabhängig von Religion, Bildungsgrad, Herkunft, sozialem Status.
"Wie schön, dass ich dich wieder gefunden habe. Du hat keine Ahnung, wie viele Frauen solche Gewalt erleben," sagt sie bei der Verabschiedung zu mir. "25 Frauen, die diese Erlebnisse hatten - darunter ich - bringen im Herbst ein Buch heraus, mit dem Titel
(UN)ER
H Ö R T
Ich melde mich bald bei Dir, Krista."
Wir umarmen uns.
Z W E I
Zermahlen vom Lärm und der Vergewaltigungs-Geschichte gehe ich zum Fahrrad. Die Luft ist noch lau, die Linden duften. Männerstimmen unter dem Steg. Sie lachen und spielen Ball und schwenken die Flaschen.
Der Weg neben dem Müller´schen Volksbad über dem Isar-Ufer ist schmal. Vorne bei der Boazn, der kleinen Bar vor der Unterführung, stehen dicht an dicht junge Menschen mit allerlei bunten Getränken, und meine Fahrradklingel tut ihr Bestes, sodass ich mich allmählich durch schieben kann - und dann stehen bleibe und das Treiben beobachte. Auch hier ohrenbetäubender Lärm aus den Boxen. Gehört halt dazu.
Hinter mir klingelt es energisch.
Eine Frau mit einem Lastenrad, in dem ein alter Windhund entspannt auf einem Fell liegt, bleibt neben mir stehen.
"Wir kennen uns!" schreit sie mich an.
"Ja!" schreie ich zurück, "Woher?"
Und dann rätseln wir, gehen alle Branchen durch, wo wir uns begegnet sein könnten. Dreharbeiten, Theater, Tanz, Energiearbeit, Goldschmiede, Tierarzt...
Alles Fehlanzeige.
Die Begegnung ist intensiv und wir wissen beide, dass wir uns irgendwoher kennen. Nur woher, das bekommen wir nicht raus.
Macht nichts. Die Begegnung ist da. Sie wird ihren Sinn haben.
Wir stehen einer weiteren nervösen Fahrradklingel im Weg, tauschen noch e-Mail-Adressen. Zum nächsten Atelier-Abend bei der Künstlerin bin ich jedenfalls eingeladen.
Alles hat seinen Sinn ...
....Begegnungen allemal. So empfinde ich es. Irgendwer oder Irgendwas hat sie in die Matrix gewoben und sie geschehen im "richtigen" Augen-Blick.
Ich lass mich überraschen.
Der Fluss glitzert. Der noch helle Himmel spiegelt sich drin.
Text(c)K.Posch

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